.Kantatengottesdienst 2019

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Mainpost, 3. Juli 2019
 
Als die alte Welt bebte

Das Kissinger Kammerorchesterund der Würzburger
Madrigalchorführten Telemanns Donner-Ode auf.
Es war eine eindrucksvolleBegegnungmit einemzu
Unrecht vernachlässigtenGroßwerk barocker 
evangelischer Kirchenmusik.
 
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Staunenswerte Kirchenmusik an einem sonnendurchfluteten
Sommermorgen: Georg Philipp Telemanns „Donner-Ode“für Soli,
Chor und Orchester in der Erlöserkirche. Foto: Gerhild Ahnert
 
BAD KISSINGEN
 
Sie ist ein Riesenwerk, nicht vonder Form und Länge, aber von Wucht und Differenziertheit, auch von der Besetzung her mit
einem Oratorium vergleichbar: Georg Philipp Telemanns „Donner-Ode“. Der Kissinger Kirchenmusikdirektor Jörg Wöltche hat sie mit dem Kammerorchester der evangelischen Erlöserkirche für seinen Festgottesdienst im Rahmen des Kissinger Sommers gewählt. Das Streichorchester erweiterte er dazu mit Holzbläsern, drei Trompeten und Pauken. Den Chorpart übernahm der Würzburger Madrigalchor, als Gesangssolisten schreibt Telemann zum besseren Donnern gleich zwei Bassisten vor. Neben diesen, Eric Fergusson und dem kurzfristig eingesprungenen Michael Lion vom Landestheater Coburg, sangen Ilse Berner (Sopran), Katrin Edelmann (Alt), Alexander Ernst Osthelder (Tenor) die fünf Soloparts.

Macht der Naturgewalten

Der große Aufwand ist vielleicht ein Grund dafür, dass man das Werk heutzutage nur selten hören kann. Nach der Uraufführung 1756 war die „Donner-Ode“ in Hamburg und Umgebung ungemein beliebt, so dass Telemann 1760 einen zweiten Teil hinzufügte. Der unmittelbare Anlass für die Komposition war das Erdbeben von Lissabon, das als kleine Flutwelle auch nach Hamburg gelangte und die stolze Hansestadt an ihre Verletzbarkeit erinnerte. Der Donner war im Barock Ausdruck der Macht der Naturgewalten, die Lissabon dem Erdboden gleichgemacht, 70 000 Menschen getötet und viele Menschen in Europa traumatisiert hatten.

Bei der Betrachtung des von Telemann in Musik gesetzten Textes erstaunt allerdings, dass es sich bei den Psalmen 8, 29 und 45, aus denen er sich zusammensetzt, um reine Lobpreisungen Gottes handelt, dass der Hinweis auf die Katastrophe sich im Text nur imHinweis auf den Donner, die erderschütternd mächtige Stimme Gottes, die „die Meere erschüttert“, „die Zedern zerschmettert“, im Wesentlichen aber in Telemanns Musik mit ihrer Lautmalerei und wuchtigen Darstellung der göttlichen Naturgewalten findet.

Wie Thomas Roßmerkel, Kirchenrat für Verkündigung und Tourismus (München), in seiner Predigt darlegte, traf die Katastrophe nicht nur den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung ins Mark, sondern ließ einmal mehr die Frage stellen, warum Gott das Böse, Schlechte, Vernichtende in der Welt zulässt. Dieser Skepsis setzen Telemann und seine Textlieferanten mit den Psalmen entgegen, dass auch die Naturgewalten Symbol der göttlichen Macht sind und die Befindlichkeiten der Menschen – man hatte gerade die Unendlichkeit des Weltalls entdeckt – nicht im Zentrum von Gottes größerem Plan stehen müssen.
 
Roßmerkel verwies für seine heutigen Zuhörer auf die Katastrophen, die der heutige Mensch über sich selbst und Gottes Schöpfung bringt und mahnte an, Gottes Maßstäbe – Gehorsam, Demut, Liebe – an unsere Zivilisation anzulegen und selbst Verantwortung für die Welt zu übernehmen, doch dabei auch das Staunen über Gottes Schöpfung beizubehalten. Solches Staunen riefen auch die Interpreten dieser für das 18. Jahrhundert absolut avantgardistischen Komposition des 75-jährigen Telemann hervor.
 
Schon der am Anfang und Ende des 1. Teils und am Schluss des 2. Teils wiederholte Anfangschor „Wie ist dein Name so groß“, ein komplexes Gebilde mit eingeschobenen Soli, mit hochdramatisch feierlichen Trompeten und Pauken zeigte, wie gut Jörg Wöltche, der die Aufführung vom Cembalo aus leitete, sein Ensemble und Volker Hagemann seinen Chor vorbereitet hatten. Durchhörbar, engagiert, spannend und sauber wurde da musiziert, auf Textverständlichkeit sehr intensiv geachtet.
 
Auch einige Arien der Solisten zeigten, welche musikalischen Wunderwerke sich in der „Donner-Ode“ entdecken lassen. So nahm Sopranistin Ilse Berner ihre Arie „Bringt her, ihr Helden“ wunderbar flott auch in den Koloraturen tonsicher und rhythmisch mitreißend und spannend, Altistin Katrin Edelmann gestaltete den Text von „Fallt vor ihm hin“ im Zwiegespräch mit der Oboe sehr bewusst und lebendig.
 
Die beiden Bässe Eric Fergusson und Michael Lion gestalteten mit unterschiedlichen Stimmen und mit eindrucksvoller Unterstützung von Pauken und Trompeten ihre Soloarien „Die Stimme Gottes zerschmettert die Zedern“ und „Sie stürzt die stolzen Gebirge zusammen“ und in ihrem zentralen Duett „Er donnert, dass er verherrlicht werde“ den Höhepunkt des ersten Teils mit schmetternden Koloraturen und – vor allem bei Lion – staunenswert wuchtigem Zugriff. Im zweiten Teil gestaltete Fergusson mit martialisch wilder Begleitung „Gürt an dein Schwert“; Lion lieferte in „Scharf sind deine Geschosse“ ein kleines Bravourstück barocker Gestaltung, rhythmisch mitreißend und mit großem Ausdruck in der Stimme.

Eindringlich singender Chor

Dem wunderbar sauber, textgenau und eindringlich singenden Würzburger Madrigalchor oblag es, den für die Aussage des Werks so wichtigen Choral „Dein Nam’ ist zuckersüß“ mit der Darstellung des Heilands als Gegenbild zu dem donnernden alttestamentarischen Gott
zu interpretieren, was die jungen Sängerinnen und Sänger wieder mit großer Konzentration, beispielhafter Präzision und offenkundiger Freude an ihrem Tonmeisterten. Es war eine eindrucksvolle Begegnung mit einem zu Unrecht vernachlässigten Großwerk barocker evangelischer Kirchenmusik. Die Zuhörer bedankten sich mit heftigem Applaus für das Erlebnis.
 
von Gerhild Ahnert
Mainpost, 3. Juli 2019
Quelle: Mainpost